Weg vom Reiten, hin zum Abrichten und Knechten?
Von Hardy Oelke
Immer wieder sind im WESTERN HORSE kritische Beiträge darüber veröffentlicht worden, wie sich das Westernreiten entwickelt hat. Und immer wieder muss man sich fragen, ob es richtig ist, diese Dinge anzusprechen. Denn man kann den Eindruck bekommen, dass das Gros der Westernreiter das toll findet, was allgemein so gemacht wird, dass kein Handlungsbedarf gesehen wird, keine Notwendigkeit, irgend etwas zu verändern… Wenn Probleme angesprochen werden, ist das dann überhaupt noch im Sinne der Westernreiter, für die WESTERN HORSE ja ins Leben gerufen wurde…?
Die jüngeren Westernreiter – und die scheinen mittlerweile die Mehrzahl auszumachen – kennen gar nicht die Anfangsgründe dieser Reitweise in Deutschland und Europa. Sie übernehmen einfach, was sie überall sehen, und halten das für gut und richtig. Aber der Drive hinter der Westernreitbewegung war damals, dass viele der konventionellen Reiterei wegen ihrer unschönen Begleiterscheinungen überdrüssig waren und sie in der Westernreitweise eine bessere, pferdefreundlichere und entspanntere Alternative gesehen hatten. Nicht wenige hatten auch ein gewisses Sendungsbewusstsein, nach dem Motto: „Schaut mal, so schön leicht kann Reiten sein!“
Vor kurzem hatte ich ein Schlüsselerlebnis. Ich hatte mir ein paar Nicht-Westernpferde angesehen (Rasse tut nichts zur Sache). Außer mir waren noch andere Interessenten dort: eine Frau mit einer Jacke, die irgendeinen Ponyhofaufdruck trug, andere, die aufgrund der Kleidung sogleich als „Englischreiter“ zu erkennen waren. Die Pferde wurden von einer Bereiterin vorgeritten, eine junge Frau von vielleicht 20 Jahren, die natürlich auch war, was wir „Englischreiter“ nennen. Die Ponyhofreiterin“ probierte dann auch eins der Pferde aus. Eine der „Englischreiter“-Besucher auch, ebenfalls eine junge Frau von vielleicht 20 Jahren – alles „No-Name-Reiter“, nicht irgendwelche Cracks.
Erst auf dem Nachhauseweg fiel es mir auf: Ich hatte drei zufällig zusammengewürfelte Reiterinnen aus dem konventionellen Lager gesehen, und nichts wirklich Negatives war mir aufgefallen. Selbst die „Ponyhof-Frau“, bei der ich aufgrund ihrer Körperfülle nicht mal sicher gewesen war, dass sie überhaupt aufs Pferd steigen würde, selbst die war passabel geritten. Die Pferde waren recht grün gewesen, aber alle munter. – Und ich rief mir vor Augen, wie das gewesen wäre beim Besuch irgendeines Westernstalls – das Gerupfe und Gezerre und Spornieren, das fast unvermeidlich gewesen wäre, die Verrenkungen im Sattel, die eingeschüchterten Pferde, das „Auf-den-Kopf-Reiten“…
Zuhause sah ich mir dann im Internet noch eine dreijährige Paint Horse-Stute an, die zum Verkauf stand (bei einem namhaften Zucht- und Trainingsstall). Sie war gerade einmal green broke und wurde von einer mehrfachen Europameisterin geritten. Nach zwei Minuten hatte ich mehr Rupfen und Zupfen gesehen als an dem gesamten Nachmittag! Das junge Pferd war gedemütigt (womit es sich aber noch nicht abgefunden hatte) und wehrte sich immer mal gegen das Gebiss, was dann gleich wieder mit Rupfen am Zügel beantwortet wurde. Es war genervt, lief nicht frei, schlug mit dem Schweif – es war schon sauer, bevor seine Karriere als Reitpferd überhaupt begonnen hatte!
Auf den Kopf geritten – „läuft mit der Nase im Dreck“ wurde zum „Qualitätsmerkmal“! Die Hinterhand steht hinten hinaus…
Fazit für mich: Wenn es ums REITEN geht und nicht ums Abrichten, dann scheint die konventionelle Reitszene der Westernreit-Szene weit überlegen zu sein. Als REITER taugen die Westernreiter nicht mehr als Vorbild.
Früher hatten wir ungerechterweise mit Vorurteilen zu tun, die uns als „Wildwestreiter“ von vornherein in eine unseriöse Schublade steckten. Heute liefern wir seriösen Reitern reichlich Gründe zu berechtigter Kritik.
Ein befreundeter Pferdemann aus der klassischen Dressur meinte unlängst, man hätte doch hoffen oder erwarten dürfen, dass die traditionellen Erfahrungen, Kenntnisse und Werte des Pferde- und Reiterlandes Deutschland dazu geführt hätten, das aus Amerika importierte Westernreiten zu neuen Höhen zu führen, es auf eine neue, höhere Ebene zu heben. – Das ist nicht eingetreten. Warum nicht, darüber kann man sicher diskutieren.
Aus meiner Sicht liegt das daran, dass Westernreiterneulinge überwiegend Reitanfänger sind und waren, und die Umsteiger aus dem konventionellen Lager waren gewöhnlich keine Reiter von solchem Format, dass sie das Westernreiten befruchtet und verbessert hätten. Viele von ihnen hatten sich nach meinem Eindruck vom konventionellen Reitsport abgewandt, weil sie da nicht erfolgreich waren, und meinten, auf Westernturnieren eher mal gewinnen zu können. Und wenn sie umstiegen, haben sie übernommen, was beim Westernreiten üblich war und ist. Es ist kein deutscher Top-Dressurreiter aufs Westernreiten umgestiegen (und warum sollte er auch?!) oder hat es parallel dazu angefangen und eine neue Ära eingeleitet…
Gibt es noch Hoffnung? Keine Ahnung. Bei den Extremen, die zu beobachten sind, sollte man meinen, es müsse irgendwann eine Gegenentwicklung einsetzen, es müsse irgendwann genug Pferdefreunden auffallen, auf welchen Abwegen sich der Westernreitsport befindet. Aber es ist gut möglich, dass alles so festgefahren ist, dass es in Zukunft eher noch schlimmer anstatt besser wird…
Lynn Palm bei der Westerndressur, bei der dressurmäßige Prinzipien des Reitens ein Revival erleben sollen
Heute gibt es noch Trainer wie z. B. Lynn Palm oder Jackie Krshka, die vom Prinzip her richtiges Reiten zu lehren scheinen. Wie lange noch?
Oder wie lange werden sie noch zur Kenntnis genommen?
Das Ideal
Kritisieren und Klagen reicht sicher nicht, darum hier der Versuch, aufzuzeigen, wie es besser gemacht werden kann.
Einmal abgesehen davon, dass es falsch war, wenn die Pioniere des Westernreitens in Deutschland ihre Reitweise als besser hingestellt hatten – es gibt überall gute und schlechte Reiter, es gibt in jeder Sparte der Reiterei Positives und Negatives –, so zeigt es doch, wie idealistisch sie eingestellt waren. Und wer vor wenigen Jahrzehnten ein Westernturnier besuchte, der war in aller Regel angetan von der Atmosphäre, von der Art und Weise, wie mit den Pferden umgegangen wurde, und von der Reiterei zumindest insofern, als dass sie legér war, locker, weitgehend pferdeschonend. Negativ war der eine oder andere höchstens da beeindruckt, wo Wildwest-Träumer mit Bowie Knifes und tiefgeschnallten Colts herumliefen, aber solche Turniere waren die Ausnahme, wo das vorkam. Wer dressurmäßig vorgebildet war, der konnte durchaus bei vielen Reitern gewisse Defizite erkennen, aber das wurde wettgemacht durch die offensichtlich überwiegende Einstellung zum Pferd, das als Partner oder gar Freund wahrgenommen und entsprechend behandelt wurde.
Nun stammt das Westernreiten von einer Arbeitsreiterei ab, wie jeder weiß. Ob es nun die nordamerikanischen Cowboys, die lateinamerikanischen oder die iberischen Vaqueros, die Camargue-Hirten oder die italienischen Butteri sind – bei einer Arbeitsreiterei steht immer der Job im Vordergrund, der getan werden muss, und alles andere ist zweitrangig. In aller Regel bringt eine Arbeitsreiterei keine reiterlichen Meisterleistungen hervor im Sinn des dressurmäßigen Reitens. Erst mit dem Aufkommen der Horse Shows bekam in Nordamerikas Westen das eigentliche Reiten als Selbstzweck eine Bedeutung. Als das Westernreiten in Deutschland Fuß fasste, war das Show-Reiten auf Western Horse Shows in Nordamerika bereits etabliert, trotzdem waren viele Deutsche wegen des „Mythos Cowboy“ zum Westernreiten gekommen.
Beispiel eines am losen Zügel arbeitenden Pferdes, das in guter Selbsthaltung läuft. Die Zügelhaltung des Reiters ist so, dass er jederzeit weich einwirken kann, das heißt, dass er das Pferd gegen die passive und gefühlvolle Hand treiben kann. Dieses Beispiel kommt dem Ideal sehr nahe
Das eigentliche Westernreiten hatte sich mit der Etablierung der Horse Shows zunächst verbessert, weil da im Gegensatz zur Arbeit mit dem Pferd Aspekte in den Vordergrund rückten, wie sie generell mit gutem Reiten assoziiert werden – weiterreichender Gehorsam des Pferdes, feinere Hilfengebung, Ästhetik der Darbietung usw.
Eine Galopp-Pirouette in schöner Form am losen Zügel, Foto Feuerpeil
Ein „auf den Kopf gerittenes Pferd“. So geht die Belastung auf die Vorhand, und um für Stop oder Richtungsänderung reagieren zu können, muss es erst seine Balance finden, wenn nicht auch das zulasten der Vorhand gehen soll, Foto Oelke
Dann setzte etwas ein, was als Fortschritt gesehen wurde, was aber tatsächlich eine Negativentwicklung war. Die Amerikaner entwickelten Vorstellungen und Vorlieben, die mit gutem Reiten nichts zu tun haben. Den Westernreitern fehlte auch in Nordamerika überwiegend die fachliche Dressurbasis, und so konnten sich Dinge als wünschenswert etablieren, die aus Sicht eines pferdeschonenden Umgangs mit dem Tier und klassischer Reitanschauung entschieden abzulehnen sind. „Fachliche Dressurbasis“ und „klassische Reitanschauung“ sind hier untrennbar verbunden zu sehen und beziehen sich nicht auf die moderne Sportdressur, die ihre eigenen Probleme zu beklagen hat.
Als Paradebeispiel für abzulehnende Auswüchse ist immer wieder die Art und Weise zu nennen, in der Western Pleasure-Pferde geshowt werden, was längst auch auf Disziplinen wie Trail und Western Horsemanship Einfluss genommen hat sowie auf die „English-Klassen“, die natürlich keine Western-Klassen sind, die aber nun einmal auf Western Horse Shows stattfinden. Sie sind ebenso wenig Englischklassen wie sie Westernklassen sind – etwas Derartiges kennt man in England nicht. Diese „English Classes“ haben die negativste Auswirkung auf die Zucht der Western Horse-Rassen, weil aus unerfindlichen Gründen dafür Pferde gezüchtet werden, die das genaue Gegenteil darstellen wie die Art Pferd, die wir als Western Horses lieben gelernt haben. Die Auswirkungen auf die Zucht sind verheerend.
Ein schönes Gesamtbild. Das Pferd läuft auf dem großen Galoppzirkel in etwas weiterem Rahmen, aber am losen Zügel und mit feinem Zügelhändchen geführt, Foto Feuerpeil
Die Negativauswüchse beschränken sich keineswegs auf die oben genannten Klassen, sondern im Reining sieht es nicht anders aus. Gern als „die Dressurklasse im Westernreiten“ hingestellt, ist sie heute etwas ganz anderes: Es werden „Knopfdruckpferde“ abgerichtet, die auf bestimmte Signale wie Automaten Bewegungsabläufe ausführen. Dazu kommt noch, dass sie möglichst „mit der Nase im Dreck laufen“ sollen, was der Gesundheit des Pferdes abträglich und allen klassischen Prinzipien entgegen ist. Außerdem steht nichts im NRHA-Regelbuch, was so etwas als wünschenswert bezeichnet! Noch in den ‘90er Jahren liefen die meisten Reining-Pferde, wie es ihrem Gebäude und klassischen Prinzipien entspricht, und ich kann mich gut an eine Futurity in Oklahoma City erinnern, wo ein Reiter, dessen Namen ich hier nicht nennen möchte, erstmals ein Pferd so präsentierte, wie es heute die meisten erstrebenswert zu finden scheinen: mit tiefer Nase wie ein Pleasure-Pferd. Er hatte einen ansonsten guten Run, strahlte über das ganze Gesicht – und war erschüttert, dass er von den Richtern gnadenlos abgestraft wurde. Das wollten sie nicht sehen! Heute ist es gang und gäbe, und selbst wenn ein Richter nicht milieugeschädigt ist und das nicht sehen will, muss er es platzieren, weil kaum etwas anderes angeboten wird…
Das Ganze wird dadurch kompliziert, dass parallel zu dieser Entwicklung Elemente aus der Dressur im Westernreiten Eingang gefunden haben, die der Cowboy und der frühe Western Show Rider nicht kannten, beispielsweise Außengalopp (Counter Canter) und Schenkelweichen (Leg Yield). Auf der einen Seite wurde man ausbildungstechnisch also besser, auf der anderen Seite verfolgt man Ziele, die gutem Reiten entgegenstehen.
ZWEI HAUPTPROBLEME
Es gibt zwei Hauptprobleme im Westernreiten: einmal dass die Pferde frontlastig geritten werden (egal ob mit dem Maul fast auf dem Boden oder sich in die Brust beißend); das andere ist der extreme Slack, mit dem geritten wird.
Wenn ein Pferd an den Hilfen ist und versammelt läuft, tritt es vermehrt mit der Hinterhand unter seinen Schwerpunkt, wölbt den Rücken auf, hebt die Schulter (richtet sich vorn auf), und sein Kopf kann dann unmöglich so tief sein, wie viele heutige Westernreiter das „geil“ finden. Abhängig von der Conformation des Pferdes, wie schräg die Schulter ist, wie der Hals angesetzt und geformt ist, trägt es den Kopf dann etwa auf Höhe des Widerrists, gewöhnlich etwas höher und in manchen Fällen deutlich höher.
Man muss sich darüber klar sein, dass alles andere auf Kosten der Gesundheit des Pferdes geht. Haben wir das Recht, unsere Pferde so zu reiten, wie es ihrer Physis nicht entspricht, nur weil wir uns etwas an sich Abartiges als „geil“ und erstrebenswert erkoren haben?
Das andere ist der lange Zügel. Getreu dem amerikanischen Motto: „Wenn ein wenig gut ist, dann ist viel mehr davon natürlich sehr viel besser!“ wurde der „lose Zügel“, der „light rein“ auf die Spitze getrieben, der urprünglich durchaus charakterisierend war für das Westernreiten. Der Cowboy ritt nicht mit ständigem Kontakt zum Pferdemaul – im unwegsamen Gelände wäre es ohnehin schwer, einen feinen Kontakt zu halten, ebenso bei der Arbeit. Lieber ließ er dem Pferd Slack (durchhängender Zügel) und nahm die Zügel nur im Bedarfsfall an. Aber es würde ihm nie einfallen, einen halben Meter Slack zu geben. Da würde er immer zu spät kommen bei einer Situation, die sofortiges Handeln erfordert. Gleichzeitig wusste und weiß er ein Pferd zu schätzen, das auch in einem solchen Bedarfsfall keine stramm angenommenen Zügel braucht, sondern über leichte Zügelhilfen mit einer Hand gesteuert und kontrolliert werden kann; die superfein reagierenden bezeichnete man auch als „trigger reined“.
Obwohl das Regelbuch einen „reasonably loose Rein“ und leichten Kontakt vorschreibt, werden viele Pferde nicht nur mit extremem Slack geshowt, sondern gewinnen sogar – wem anders als den Richtern muss da der Vorwurf gemacht werden? Und wie muss ein Pferd geknechtet werden, wenn es schließlich so läuft, ohne dass der Reiter noch einwirken muss (oder kann)? Laut Regelbuch soll das Pferd auch einen strahlenden Eindruck machen – diese wirken traurig und gedemütigt!
Wird dem Pferd erlaubt, sich in der Vorhand aufzurichten, ist es z. B. auch beim Backup in der Balance und kann hinten untertreten
Wenn ein Pferd gesteuert wird, obwohl es nahezu einen Meter Slack in den Zügeln hat und ihm diese bis auf die Karpalgelenke bammeln, dann mag der eine oder andere Zuschauer das toll finden, aber kaum einer macht sich klar, welche Torturen dieses Pferd im Training durchmachen musste, um letztlich so zu gehen! Im Einzelfall mag es einen Amateur geben, der im Laufe der Jahre ein solches Verhältnis zu einem Pferd aufgebaut hat, dass ihm dies ohne schlimmes Drillen gelingt, aber die Großzahl der professionell ausgebildeten Pferde müssen leiden, bis sie diesem unseeligen Ziel einigermaßen entsprechen.
Und dann ist es immer noch kein gutes Reiten, selbst wenn es fehlerlos ist. Gutes Reiten zeichnet sich dadurch aus, dass das Pferd so an den Hilfen steht, dass es auf feinste Schenkel- und auch Zügelhilfen reagiert, dass über diese Hilfen eine Kommunikation mit ihm stattfindet. Wenn die Leinen fast auf dem Boden schleifen, ist keine Kommunikation mehr möglich. Ein loser Zügel ist erstrebenswert – im Gegensatz zu einem strammen –, aber nur wenn der Zügel nicht zu weit durchhängt, kann man im Bedarfsfall sofort kommunizieren.
Dazu muss noch erwähnt werden, dass die Regelbücher nicht nur keinen auffälligen Slack fordern, sondern im Gegenteil einen leichten Kontakt mit dem Pferdemaul. Im Grunde showen die also alle nicht regelkonform, die mit viel Slack reiten! Und die Richter, die solche Reiter-/Pferd-Paare gewinnen lassen, tun dies also dem Regelbuch zum Trotz, setzen sich über die Regeln des Verbandes hinweg, von dem sie eine Richterkarte erworben haben!
Das Rule Book spricht gewöhnlich vom „reasonably loose rein“, einem im vernünftigen Maße losem Zügel – das mag ein Gummibegriff sein, einer, der Raum für Interpretation lässt, aber in keinem Fall kann er einen weit durchhängenden Zügel meinen und schon gar keinen, der bis auf die Karpalgelenke herunterbaumelt!
WIE SÄHE DAS IDEAL AUS?
Das Ideal sollte ein Pferd sein, das am losen bis leicht durchhängenden Zügel arbeitet und sich selbst trägt, d. h. der Aufgabe entsprechend mehr oder weniger versammelt läuft.
Sehen wir uns den idealen Westernreiter an: Anstatt zu versuchen, die Richter mit noch mehr Slack zu beeindrucken, als die Mitbewerber zeigen, steht sein Pferd am offensichtlich losen Zügel, ist aber immer „bei ihm“, so dass er es jederzeit beliebig und stufenlos regulieren und lenken kann, jederzeit den Rahmen des Pferdes erweitern oder verkürzen kann. Das Pferd hat die Hinterhand untergesetzt und ist so optimal manövrierfähig, ob in einem Trail, einer Reining oder einer Western Riding-Klasse. Seine Pluspunkte gegenüber den Konkurrenten holt es sich z. B. in einer Pleasure, weil es besonders taktrein und gleichmäßig läuft, besonders prompt und korrekt angaloppiert oder andere Transitions besonders glatt und weich ausführt, ohne sich in seiner Haltung zu verändern. Auch dadurch, dass es dem Richter von der Conformation her besonders gefällt, aber vor allem dadurch, dass es sich als der beste Beweger zeigt! In einer Reining besticht der ideale Reiter nicht nur mit der korrekten Ausführung der Manöver, sondern auch dadurch, dass er alles mit unsichtbaren Hilfen herausreitet, keine auffälligen Bewegungen mit der Zügelhand oder gar den Armen und auch nicht mit den Beinen macht, tadellos gerade in der Mitte des Pferdes sitzt, ohne steif zu wirken. Sein Pferd macht keine unkontrollierten Bewegungen im Stand, beim Angaloppieren oder vor dem Andrehen bei den Spins, und es läuft genau da her, wo es herlaufen soll. Seine Zirkel gehen wie auf Schienen immer über X, und es bleibt auch auf den großen schnellen immer weit genug von der Bande entfernt, so dass der Reiter auf diese Weise demonstriert, dass er das Pferd lenkt und nicht die Wand oder die Bande. Wenn er die Bahn betritt und nach X geht oder wo sonst er angaloppieren muss, bleibt er ruhig sitzen, seine Zügelhand macht keinerleit auffällige Bewegungen, auch nicht beim Angaloppieren, sondern er treibt sein Pferd unmerklich in die Bridle, formt es und dann geht es wie selbstverständlich in den Galopp. Zuletzt habe ich Grischa Ludwig auf der Americana so angaloppieren gesehen, während alle anderen einen Zupfwettbewerb zu machen schienen. Auch während der Galoppzirkel bleibt die Zügelhand idealerweise still und durch die ganze Prüfung hindurch.
Stilvoller, tiefer Stop bei nicht weggeworfenem, aber losem Zügel, Foto Waltenberry
Two Tracking (Travers) bei losem Zügel (das Pferd reagiert praktisch auf das Gewicht des Zügels). Schön ausbalancierte Haltung des Pferdes, Foto Feuerpeil
Egal welche Disziplin, der Reiter sitzt immer aufrecht und symmetrisch mitten im Pferd, seine Zügelhand ist relativ tief und ebenfalls mittig und bewegt sich nur unmerklich seitwärts oder auf und ab. Die Zügelhand ist nicht zur festen Faust geballt, als hielte er einen schweren Hammer, sondern offensichtlich auf feine Kommunikation eingestellt. Im Fall eines Juniorpferdes sind seine Hände auf der Position genau zwischen Ellbogen und Pferdemaul und bleiben auch da. Seine Beine verschieben sich nur unmerklich und bleiben ebenso still wie seine Hand/Hände.
Sein Pferd wirkt gelassen und idealerweise sogar freudig bei der Arbeit. Die Augen schauen nicht „tot“, als habe es mit allem abgeschlossen und sich in ein trauriges Schicksal ergeben. Das Westernpferd muss nicht „prahlend daherkommen“ wie ein barockes Adeligenpferd, aber nur wenn es entspannt und happy aussieht, können wir echte Pferdeliebhaber für das Westernreiten gewinnen und den Respekt derer, die man als Horsemen bezeichnen kann. An solchen, die in den Pferden nur Sportgeräte sehen, mangelt es in der Westernszene nicht; das Idealziel sollte hingegen sein, eine Alternative für echte Pferdeliebhaber zu bieten.
Unlängst war ich auf einem Working Equitation-Turnier. Es ist beachtlich, was sich da in wenigen Jahren etabliert hat, und es gibt da einige Überläufer – von der deutschen Dressurszene, aber auch von den Westernreitern. Die reiterlichen Leistungen waren nicht unbedingt besser als bei Westernturnieren – im Gegenteil, mit etwas Spezialtraining könnten viele Westernreiter beim Working Equitation geradezu „absahnen“. Doch auffallend war, dass es beim Abreiten keine unschönen Bilder zu sehen gab! Und bei allen Leistungsunterschieden gab es in den Dressurklassen keine Pferde, die absichtlich auf für sie ungesunde Weise geritten wurden. Es sind solche Alternativen, an welche wir Reiter verlieren, denen das Wohl des Pferdes noch am Herzen liegt – wenn wir nicht Entscheidendes im Westernreiten verbessern.
2 Kommentare
Ich muss gestehen, ich habe den Artikel nicht ganz gelesen. Aber wenn ich mir die Bilder und deren Unterschriften anschaue, habe ich etwas zu kritisieren:
Was ist falsch an slack reins? Wenn ein Pferd so hoch ausgebildet ist, dass es nur mit Sitz und Schenkeln gelenkt und geformt werden kann, sich also selbst trägt, spricht meines Erachtens nichts gegen sehr lose Zügel. Es gilt schliesslich immernoch: Sitz vor Bein vor Hand. Es gibt auch Pferde, die nicht abgerichtet, sondern korrekt ausgebildet wurden, die mit slacks gut laufen. Aber eben natürlich gut, und nicht in „Erbsenroller-Manier“ mit der Nase im Sand, sondern in Versammlung mit dem Genick in Widerristhöhe. Abgesehen davon kann man einem Pferd auch in Anlehnung im Maul reissen, und auch mit slacks sachte an die leichte, verwahrende Hand treiben, bzw. diese Anlehnung kurzfristig fein aufbauen.
Abgesehen davon stimme ich mit den Aussagen im Artikel überein, das Rupfen am Zügel ist extrem schädlich und unanständig gegenüber dem Pferd; sollte also in der Pferdeausbildung (und auch sonstwo) keinen Platz haben. Mich stören auch diese „Pleasure Gangarten“, die extrem kurz, vorhandlastig, ohne Schwebephase und deshalb ungesund und unnatürlich sind, genauso. Auch Aber schuld daran sind nicht die Slack Reins, sondern schlicht und einfach schlechtes Reiten und mangelnde Fachkenntnis, und/oder Profitgier.
Hallo Hardy Du sprichst mir (und anderen) aus der Seele. Den Nagel VOLL auf den Kopf gehauen.
Weiter So !!!
Gruß Michael